Archiv Schüler*innen-Zeitung

Klärwerk (1995 – 2000) – Die Schülerzeitung des Andreas-Gymnasiums

5 Jahre – 3 Generationen

Das Andreas-Gymnasium im März 1995: Die Schule befand sich in einem kreativen Chaos der Projektwochen. Die Großen hatten gerade ihre schriftlichen Prüfungen hinter sich, es war Frühling. Irgendwie lag eine seltsame Aufbruchstimmung in der Luft. Nach dem Abgang des „Wende“-Jahrgangs und der Spaltung der Schule in zwei Standorte, die aufgrund der hohen Schülerzahlen notwendig geworden war, erlahmte das Interesse an Schulaktivitäten ein wenig. Mutige Schritte, wie die Gründung des Schülerradios, eines lateinischen Kochkures und einer abgefahrenen Filmproduktion erweckten bei vielen den Eindruck, es bewege sich was in der Singerstraße und Umgebung. Unter diesen günstigen Vorzeichen startete „das Projekt“, beaufsichtigt durch einen damaligen Englisch-Lehrer, aber de facto in der Hand von zehn Gymnasiasten um Martin Raasch, um endlich zu etablieren, was es an jeder Provinz-Schule gab: Eine echte Schülerzeitung.

In nur drei Tagen wurde ein loses Konzept zusammengeflickt und eine Nullnummer unter die Leute gebracht, um zu beweisen, dass es die Kreativ-Gruppe wirklich gibt. Dann begann die echte Arbeit. Es folgten erste Gespräche mit der Druckerei und die ernüchternde Erkenntnis, dass eine Ausgabe 500 D-Mark (heute rund 255 €) kosten würde. Darauf gab es nicht minder ernüchternde Versuche, Kiez-Geschäfte vom wirtschaftlichen Nutzen einer Anzeige in einem noch nicht existierenden Blatt mit „klarer Zielgruppe“ zu überzeugen. Und außerdem brauchte es natürlich auch Inhalt: Was gehört in eine Schülerzeitung? „Große Politik“ des Berliner Schulsenates vs. Lehrer-Schelte? Was interessiert den ominösen Schüler der achten Klasse? 

Nachdem innerhalb eines Monats Geld und Inhalt zusammengekratzt wurden, konnte endlich gedruckt werden. Klärwerkstand drauf und: DEBÜT. Mit dem Ergebins war die Redaktion nicht wirklich zufrieden. Die Vorgänger-Schülerzeitung, der „Chelm“, welche ein Jahr zuvor das Zeitliche gesegnet hatte und stets im Untergrund erschienen war, setzte hohe Maßstäbe, vor allem im kritischen Umgang mit den lieben Lehrern. 
Das nächste Heft wurde diesem Anspruch dann eher gerecht. Mit dem Mobbing-Artikel gegen einen tyrannischen Englisch-PW-Lehrer begann sich das Tremolo so langsam zu steigern. Viele Leser*innen fühlten sich durch den offensiven Umgang mit Problemen des Schulalltags verstanden. Von da an begann sich das Projekt alleine zu tragen. Mit dem begnadeten Comic-Zeichner Markus Witzel (heute deutschlandweit bekannt unter dem Namen Mawil) und der Vandalen-Posse um Stefan B. erhielt das Klärwerk, was es benötigte: den Charme einer Outlaw-Postille, die bewusst Grenzen austesten wollte. Und Grenzen gab es genug. Das bekam die Redaktion nach einigen, aus heutiger Sicht harmlos erscheinenden Artikeln über umstrittene Lehrer zu spüren. Während die Kritik an der pädagogischen Unfähigkeit einer damaligen Französisch-Lehrerin lediglich als „Bild-Zeitungs“-Stil gelobt wurde, eskalierte die Situation, als sich ein Lehrer in einem Quiz wiederentdeckte und dem damaligen verantwortlichen Redakteur mit rechtlichen Konsequenzen drohte. Auch das Verhältnis zur Schulleitung kühlte zu diesem Zeitpunkt merklich ab. Der Direktor Herr Scheuer, der den auch von Schüler*innen als unfair bezeichneten Artikel bereits vor Erscheinen gelesen hatte und nichts Verwerfliches darin finden konnte, zog sich ins Schneckenhaus zurück. Umfangreiche Diskussionen zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen sollten einen sachlichen Kompromiss erlangen. Das Ergebnis der Klärwerk-Macher, die überwiegend in der 13. Klasse waren, stellte einen Kompromiss zwischen Struktur und Gewissen dar. Die erste Generation wusste, dass sie nur noch kurze Zeit mit der Schule konfrontiert war, die Zeitung sollte aber weiterleben. Das Heft wurde in die Hände „junger Menschen“, in der Hoffnung, dass diese das Beste daraus machen würden, gelegt. 

Keinerlei Erfahrungen, aber viele Ideen und eine gewaltige Portion Enthusiasmus. Ein hervorragendes Gemisch, dass die neuen Leute um Jenny Behrendt, Henryk Hielscher und Jenny Schlüter sogar dazu anspornte, 500 Exemplare per Hand mit feinem Silber- bzw. Goldstaub zu überziehen. Immerhin stand die Weihnachtszeit vor der Tür und die neue Redaktion bald ebenso. „Verbot“ lautete das gemeine Wort, womit Direktor Scheuer die neue Redaktion des Klärwerkes begrüßte. Das bedeutete zwar Frieren vor den Toren der Schule, aber gute Verkaufszahlen. Auslöser für die Friktionen mit der Schulleitung war die neu gestartete Schul-Soap „The Next Penetration“. Klärwerk rief diese, als Hommage an ähnliche Formate im Fernsehen und an die Schule selbst, ins Leben. Ein Spaß, der allerdings als solcher nicht erkannt wurde und zu regen Auseinandersetzungen zwischen Schulleitung, betroffenen Lehrer*innen und Redaktion führte. So richtig verstanden hat Klärwerk die Sache nie, aber eines daraus gelernt, nämlich genau auf dem richtigen Wege zu sein. Im nächsten Heft erschien der zweite Teil. 

Mit Nummer 9 begann auch die erfolglose Tradition, sich mit dem Klärwerk am Spiegel-Wettbewerb um die beste Schülerzeitung des Jahres zu bewerben. Mit Ruhm hatte man sich dabei nicht bekleckert. Ähnlich wie das Lotto-Spiel schien die Tatsache, dass eine objektive Chance zu gewinnen, nicht vorhanden war, aber den Spieltrieb weckte. 
Doch Titelthema für das mittlerweile zweite Heft der zweiten Generation war natürlich das Verbot durch die Schulleitung. Ein wenig Selbstmitleid und viel Trotz charakterisierten die Artikel. „Demokratieverständnis im Jahre sieben nach dem Knall“ titelte eine erstarkte, zudem selbstbewusster gewordene Redaktion. Plakate mit provozierenden Sprüchen kündigten das neue Heft nach dem großen Knall an. „Wir sind hier nicht in Peking, Frank“ hing genau 30 Minuten vor dem Sekretariat, bevor es entfernt wurde. Die aufschlussreiche Interpretation der Schulleitung: Herr Scheuer würde Schüler*innen zusammenschießen, wenn er dürfte. Die Direktion bat zu einer Aussprache, an die sich beide Seiten äußerst ungerne erinnern dürften.

Doch neben den gespannten Verhältnissen griff Klärwerk natürlich Dinge auf, die das Schulleben dieser Zeit prägten. Die aufkommende Terence-Manie, einem Schlagerbarden am A-Gym und dessen lokaler Hit: „Denn nie zuvor“, die ersten Praktika-Erfahrungen der neunten Klassen und die ersten Versuche der Schule, online zu gehen. Das Experiment war geglückt, der Alltag holte auch die neue Redaktion ein. 
Klärwerk-Redakteure versuchten sich in dieser Zeit an einigen ernsthaften Reportagen. Sie wandelten auf den Spuren des Dachstuhls der Schule, ließen sich bei Scientology zu schulischen Problemen beraten und veranlassten eine Kooperative mit Kollegen des Beethoven-Gymnasiums. Außerdem fiel der letzte große Streik der Schule in diese Zeit, als man sich mit mehr oder weniger idealistischen Gründen den Studentenstreiks anschloss. Trotz allem bildeten die Lehrer*innen des A-Gyms stets den idealen Stoff für Lehrercomics und anderer Späße, an die sie sich irgendwann zu gewöhnen schienen. Etabliert über mehrere Ausgaben hatte sich dabei die Rubrik über die Zweiteinkünfte der Lehrer. Doch so wie sich das Verhältnis Schulleitung-Klärwerk entspannte, so schwieriger wurde es leider zwischen der Zeitung und denen, für die diese eigentlich entstanden war: Für die Schüler*innen des Andreas-Gymnasiums. Erste Anzeichen waren zurückgehende Verkaufszahlen und der Rückgang der Schülerreaktionen auf praktisch Null. Der Anfang vom Ende war dabei der erste gefälschte Leserbrief in der Klärwerk-Geschichte und der getürkte Bericht über eine HipHop-Gruppe aus Dänemark „Self Made Marmelade“ mit CD-Verlosung, die es nie gegeben hat. Die zwei Schülerinnen, die sich für die CD bewarben, konnten daher leider nie abgefunden werden. 
Heft Nummer 14 bildete den Abschluss dieser Redaktion. Mit einem ironischen, leicht wehmütigen Rückblick auf „250 Jahre Klärwerk“ und die zahlreichen Interviews mit Fettes Brot, dem Theaterschauspieler Martin Wuttke, dem Regisseur Christoph Schlingensief oder die Berlin Popgruppe Blochin 81 verabschiedete man sich aus dem Schulleben und übergab das Zepter an die dritte Generation. Mit einer Startauflage von 500 Exemplaren meldete sich Klärwerk Nummer 15 mit der neuen Mannschaft um Alexander Becker, Daniel Lange und Thilo Mischke zurück. Und wie nach Heft 6 und Heft 9 gab es gleich den ersten Ärger. Neue Schreiber, alte Sorgen: Die Rubrik „Lehrerratten“ hatte mal wieder in ein Wespennest gestochen. 

Dass neben dem Spaß am Machen auch eine Menge Frust in der Weiterführung steckte, wurde rasch spürbar. Aber wie auch die Vorgänger, lernten die neuen Macher schnell und so konnten mit einigen veröffentlichten Texten die ersten Erfolge verbucht werden. Zwar flachte die Resonanz insgesamt ab, aber das Konzept ging vor allem in puncto Qualität noch immer auf. Ein Interview mit dem berüchtigten Kaufhauserpresser „Dagobert“, Gewinnaktionen mit echten Preisen und investigativem Schuljournalismus stärkten das Selbstbewusstsein. Trotzdem schrumpfte das Feedback der Schülerschaft und das Gefühl der Redaktion, „einfach nur da zu sein“: Das nagte von Ausgabe zu Ausgabe an der Substanz. Zwar wurde mit jedem neuen Heft der Karren erneut aus dem Dreck gezogen, aber das konnte es ja nicht sein. Selbstzweifel lagen in der Luft. Dieses Drittel in der Geschichte des Klärwerks stand im widersprüchlichen Zeichen des Wollens der Macher und der No-Future-Generation. Hatte das Klärwerk in den 1995ern noch die eingeschworene Clique, ging in den 2000ern das Personal aus. Daher wirkte das Projekt Schülerzeitung mit Heft Nummer 20 zunehmend brüchig und dem Ende nah. Unsicherheit machte sich breit, man befand sich scheinbar in einer Sackgasse.
Der damals noch immer amtierende Direktor Herr Scheuer selbst trat dann im Jahr 2000 dafür ein, das Klärwerk zunächst als Projekt-AG weiterführen zu lassen, was auch noch viele Jahre umgesetzt wurde. Bis weit über insgesamt 30 Ausgaben gab es dann noch – realisiert von dutzenden ambitionierten und engagierten Schüler*innen des A-Gyms. 

Dieses Online-Archiv (erstellt von Marc Ullrich und Alexander Becker) im Jahr 2020, 25 Jahre nach Gründung des Klärwerks, bietet eine umfassende chronologische „KlärWerkschau“ der ersten 20 Hefte zum Download. 
Mit allerei kuriosen, historischen, witzigen und interessanten Inhalten soll die derzeitige Schülerschaft an die Anfänge erinnern, wie man damals ohne virtuelle soziale Netzwerke innerhalb des Systems Schule miteinander kommuniziert und dabei eine Menge Spaß hatte, das Medium Schülerzeitung zu nutzen. Die Chance, auf einer bestehenden Struktur oder der Grundidee „Klärwerk“ etwas Neues aufzubauen, war in diesem Moment nie größer. 

Textquelle: Klärwerk Nummer 20 aus dem Jahr 2000 – „Juhu, wir leben noch…5 Jahre Klärwerk – drei Generationen“ (Martin Raasch, Jenny Schlüter, Alexander Becker)


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