Bericht zur Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz

Die Sonne strahlt auf den Schriftzug „Arbeit macht frei“ und lässt die umliegenden Stracheldrähte glänzen. Still laufen Gruppen von einer Baracke zur nächsten. Von einer Grausamkeit zur nächsten. Von einem bis zum Tode gequälten Menschen zum Nächsten.
Zum ersten Mal überhaupt organisierte die Courage-AG eine Fahrt, an der Mitglieder und einige Interessierte teilnahmen.
Wir, eine gemischte Gruppe aus 10.- ,11.- und 12.-Klässler*Innen, waren mit Frau Rode und Herrn Ullrich zu zweiundzwanzigst für vier Tage unterwegs. Wir erlebten geschichtsverbindende Eindrücke, die wir so nie im Unterricht vermittelt bekommen hätten.

Als sich die Gemeinschaft am sonnigen Samstagmorgen teils müde, aber gut gelaunt beim Berliner Südkreuz traf, konnte sich vermutlich keiner vorstellen, was genau auf uns zukam. Mit einer achtstündigen Busfahrt vor uns zeichneten sich aber bereits ein wiederkehrender Charakterzug der Fahrt ab: Busfahrten sollten uns die kommenden vier Tage öfter begleiten. Dazu würden sommerliche Temperaturen und längere Laufwege als auch längere Abende kommen.
Unsere Anfahrt nach Krakau, Ankunft in der schönen Altstadt, das gemeinsame Einkaufen nach einem Sommergewitter und etwas herausfordernde Kochen am späten Abend, wir versorgten und an den drei Abenden mittels der Gemeinschaftsküche unseres Hostels selbst, wirkten als gute Ablenkung zu dem, was am folgenden Tag auf uns wartete.

Um uns zumindest etwas zu rüsten, diskutierten wir in die Nacht hinein über unsere Motive, Befürchtungen und Gedanken zum Gedenkstättenbesuch. Auch die eigene Rolle in der Schoah – hebräisch für „Katastrophe oder „großes Unglück“, jüdische Bezeichnung für den Holocaust bzw. nationalsozialistischen Völkermord an Millionen von Juden in Europa – also persönliche Schuld, Scham und Verantwortung, beschäftigten uns sehr

Die Nacht und das Frühstück gingen schnell vorüber und wir traten unseren ersten Besuch an, ins sogenannte „Stammlager“ bei Auschwitz, dem heutigen Oświęcim. Es war der Ausgangsort für ein riesenhaftes Komplex an Strafarbeits- und Vernichtungslagern, welcher letztendlich verantwortlich für dem Tod von mindestens 1.3 Millionen Menschen war, eine von einigen genannten, für den eigenen Verstand niemals erfassbaren Zahlen.
Während der eineinhalb Stunden Busfahrt dorthin blieb die Stimmung ruhig. Wir wussten nicht, wo wir gleich sein würden. Was würden wir denken und fühlen? Könnte der Ort kommerzialisiert, womöglich zu einer Touristenattraktion geworden sein? Würden wir von
Gruppen aus anderen Ländern als Täter angesehen werden? Würden wir uns selbst als Täter fühlen? Würden wir das alles überhaupt nur ansatzweise begreifen können?

Unsere Gruppe wurde von Theresa durch die Gedenkstätten begleitet, die in Oświęcim wohnt und deren Großeltern noch Zeugen der Nazi-Verbrechen wurden. Sie führte uns durch die eng eingezäunte Gruppe von gemauerten Baracken. Einst eine polnische Kaserne, daraufhin KZ und nun Ort für die dokumentarischen Ausstellungen. Theresa erzählte uns recht direkt, aber rücksichtsvoll von den unvorstellbaren Ausmaßen der Grausamkeit der Nazis. Sie beschrieb die Bedingungen und Abläufe für die Gefangenen und berichtete von ein paar Einzelschicksalen. Von SS-Männern, die Feste feierten und sich Konzerte geben ließen, während einige hundert Meter entfernt tausende von Leichen verbrannt wurden und der Rauch die Luft verpestete. Von einem Häftling, der sich, als alleinstehender Priester, für einen Familienvater opferte und den Hungertod auf sich nahm.
Die Räume, die wir durchliefen waren teils möglich unangetastet und nur zum nötigsten restauriert, teils zur schlicht gehaltenen Darstellung von Fotografien, Dokumenten und Übriggelassenem umfunktioniert.
Schlecht gezimmerte, dreistöckige Holzbetten, dicht an dicht; Formulare für Vehaftungsgründe, medizinische Untersuchungen und Todesursachen; Berge erhaltener Schuhe, Haare, Brillen, Koffer der Opfer; Kleidung und Zeichnungen von Kindern, auf denen SS-Männer, Waffen oder einfach nur das Wort „Mami“ zu sehen war; Heimlich und offiziell gemachte Aufnahmen des Betriebs; Reihen an Reihen an Fotographien von registrierten Häftlingen nach den menschenentwürdigenden und persönlichkeitsraubenden Aufnahmeverfahren. Unter Bildern von verängstigten, kahlgeschorenen Menschen waren jeweils Name, Beruf, Datum der Ankunft und Todestag dokumentiert

Wir liefen stetig weiter durch die Erinnerungen an Qual, Schrecken und Tod. Was tatsächlich zu sehen ist, ist behutsam gewählt worden und wird nie zu drastisch. Die eigene Vorstellung des Geschehenen wird nie ganz möglich, gibt den Orten aber ihr Gewicht, was überwältigen kann. Es sind Orte des Gedenkens der Opfer, Orte der Mahnung für die Welt.
Das am folgenden Tag besuchte Lager Auschwitz-Birkenau, ist nichts anderes als die absolute Überdimensionierung der Vorstellung eines Konzentrationslagers. Auf dem knapp 200 Hektar großen Gelände wird langsam wieder zu Feld und Wald, wo einst hunderte von Holzbaracken standen, ursprünglich konstruiert um als Pferdestall der Wehrmacht zu dienen. Umsichtig beschrieb uns Theresa, wie sich das Lager über Monate hinweg zur immer effizienteren Tötungsmaschinerie entwickelte, wie diese für ganze Genozide, unmenschlichste Folter und grausame „medizinische Experimente“ von Josef Mengele genutzt wurde. Sie klärte uns über den Widerstand innerhalb und außerhalb des Lagers auf und antwortete auf unsere Fragen.
Letztendlich endeten wir nach den Besuchen erschöpft von der Sonne, den Fußwegen und dem schweren Gehalt der Führungen. Wir sind auf Wegen gelaufen, an dem jeder Meter Erde unter unseren Füßen ein Meter des Schmerzes oder des Todes für unschuldige Menschen war und wurden daran erinnert.

Die Gedenkstätten bei Oświęcim liefern einen großen Beitrag zum Erhalt der Erinnerung an die Schoah, sie beschreiben, was geschah. Was auch sie nicht bieten können, sind Antworten bezüglich der unbeschreiblichen Motive der SS oder des Nazi-Regimes. Wer nachvollziehen möchte, was Menschen dazu bringen kann so grausam zu sein, wird auch hier höchstens Ansätze von Erklärungen finden.
Gleichzeitig wird die Landschaft um Oświęcim auch immer ein Ort der Trauer, ein Friedhof bleiben, der keine Attraktion sein darf. Die Gedenkstätten werden dem gerecht, in ihrer respektvollen Art des Umgangs mit historischem Material, mit den Opfern. Problematisch fanden wir aber manche Besucher, zum Beispiel in Fußballtrikots gekleidet.
Aber auch wir selbst hatten für den bestmöglichen Umgang mit dem erlebten, falls es so etwas geben kann, nur wenig Zeit. Das von einer schon lang in der Aufarbeitung mit Jugendlichen geübten Seminarleiterin in der internationalen Jugegendbegegnungsstätte in Oświęcim half uns dabei, unsere ersten Gedanken nach dem Besuch bei Birkenau zu sortieren. Die eigentliche Verarbeitung wird aber wohl noch viel länger dauern.
Die Zeit, die wir hatten, voller Bustransfers, heißer Tage und langer Besichtigungen wurde jedoch sehr aufgelockert von den gemeinsamen abendlichen Spielen, Spaziergängen durch das schöne Krakau, Koch-Herausforderungen, Abendessen und der Gemeinschaft der Leute die Mitgefahren sind

Es war keine normale Kurs- oder Klassenfahrt, wie man Sie kennt, doch insgesamt vermutlich für viele von uns ein ziemlich gelungener Rahmen für ein solches Vorhaben. Insofern möchten wir nochmal ganz besonders Frau Rode und Herrn Ullrich für Ihren großartigen Einsatz danken. Wir hoffen, dass es noch viele solcher spannenden Fahrten geben wird und können allen ernsthaft interessierten empfehlen, sich dafür zu engagieren und dabei zu sein.

Hannah und Felix